Die Liberalen Soldaten und Veteranen stellen fest, dass sich nicht erst mit der russischen über die Krim hinaus gehenden Invasion in die Ukraine im Februar 2022 die europäische Sicherheitslage nachhaltig verschlechtert hat. Auch fortbestehende Spannungen auf dem Balkan, im Nahen Osten, Nordafrika und in Ostasien sowie die Sicherheitslage der internationalen Schifffahrt und kritischer Infrastrukturen an Land und auf See machen ein starkes sicherheitspolitisches Engagement Deutschlands unumgänglich, wie es unsere Verbündeten zurecht seit Jahren einfordern. Die Bundeswehr muss wieder kriegstüchtig werden um glaubhaft abschrecken und unsere Werte verteidigen zu können – in Europa und weltweit.
Gleichzeitig zeigt sich, wie sehr sich die Bundeswehr und die zivile Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten voneinander entfernt haben und wie mühsam neue Verbindungen geschlossen werden müssen, um die Streitkräfte in eine verteidigungsbereite Gesellschaft einzubetten. Die Liberalen Soldaten und Veteranen sehen daher in wesentlichen Handlungsfeldern noch immer großen Nachholbedarf nach Jahrzehnten der Friedensdividende und „freundlichen Desinteresses“ breiter Teile der Gesellschaft an allem Militärischen.
Uns ist bewusst, dass Veränderungen mühevoll und zeitintensiv sind. Trotzdem oder gerade deshalb sehen wir die zügige Umsetzung folgender acht Kernforderungen als essentiell, um die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte nachhaltig zu verbessern und parallel die Bevölkerung wieder mit „ihrer“ Bundeswehr zusammenzuführen:
1. Nachhaltige Finanzierung sicherstellen
Kriegstüchtigkeit gibt es nicht zum Nulltarif. Deshalb brauchen wir ein belastbares Bekenntnis der demokratischen Fraktionen des Deutschen Bundestages zum finanziellen Mindestziel der NATO. Wir fordern daher ergänzend zum jährlichen Haushalt die Einrichtung eines Bundesverteidigungs-Finanzierungsgesetzes als Sockelbetrag des Einzelplans 14 für die nächsten 10 Jahre, um die planbaren Kosten der Streitkräfte im Bereich Infrastruktur, Wehrforschung sowie Beschaffung und Materialerhaltung überjährig finanzieren zu können. Ausdrücklich soll dieses Gesetz keine Entscheidungen für oder gegen konkrete Infrastrukturprojekte, Forschungsbereiche oder (Waffen-)Systeme beinhalten, sondern durch das Parlament bzw. das BMVg beschlossene mehrjährige Vorhaben finanziell absichern. Darüberhinausgehende Projekte sollten unter Berücksichtigung der parlamentarischen Beteiligung und entsprechender Schwerpunktsetzung der Bundesregierung auch weiterhin unverändert möglich sein. Die Kopfstärke der Streitkräfte muss weiterhin grundgesetzkonform ausdrücklich über den jährlichen Haushalt definiert werden.
2. Beschaffung und Bau beschleunigen und ausweiten
Jahrelange Verzögerung und Vernachlässigung bei Rüstungs- und Infrastrukturprojekten können wir uns nicht länger leisten. Deshalb müssen alle Möglichkeiten zur weiteren Beschleunigung der Beschaffung und des Bauens ausgenutzt werden: Verstetigung und Ausweitung des Bundeswehr-beschaffungsbeschleunigungsgesetzes, Erweiterung des bestehenden Malus-Systems um eine Bonuskomponente bei vorzeitiger Auslieferung/Fertigstellung, anteilige Anzahlung bei Auftragsvergabe als Regelfall, Einbindung qualifizierter Bundeswehrangehöriger bei der Bauplanung und die Abschaffung der aufschiebenden Parlamentsbefassung von Rüstungsbeschaffungen über 25 Mio. Euro zugunsten einer reinen Informationspflicht sollen hier nur beispielhaft genannt sein. Auch bestehende rechtliche Vorgaben und Prozesse mit „bremsendem Charakter“ müssen kritisch auf ihre Erforderlichkeit geprüft werden. Es darf keine Denkverbote mehr geben!Wir lehnen die Bindung der öffentlichen Auftragsvergabe an das Vorhandensein von Tarifverträgen ab, da die deutsche Verteidigungsbranche und auch das Handwerk im Wesentlichen mittelständisch geprägt ist und das Tariftreuegesetz für diese Betriebe eine unnötige bürokratische Hürde darstellt. Wir wollen, dass alle Firmen ihren Beitrag zur Sicherheit Deutschlands leisten dürfen und nicht nur Konzerne.
3. Reserve stärken
Nur mit einer starken und einsatzfähigen Reserve sind die Streitkräfte durchhaltefähig. Dies bedingt sowohl eine moderne und dauerhaft ausgegebene persönliche Ausrüstung, aber auch verfügbare Handwaffen und Großgerät ohne Abstützung auf aktive Verbände und vor allem Ausbildung und Inübunghaltung.Deshalb fordern wir ein Ende der doppelten Zustimmungspflicht für Reservedienstleistungen. Vielmehr sind motivierte Reservisten bis zu zwei Wochen jährlich für die Teilnahme an Dienstleistungen auch ohne Zustimmung des Arbeitgebers unter Zahlung von Kompensationsleistungen freizustellen. Wir fordern außerdem, das Höchstalter der Reserve abzuschaffen und den Reservedienst von bürokratischem Ballast zu befreien.
4. Verbesserung der personellen Resilienz der Streitkräfte
Die bestehende unmittelbare akute militärische Bedrohung für Deutschland und unsere Verbündeten erfordert die Stärkung der Streitkräfte-Ressourcen. Zur Umsetzung der bestehenden Wehrpflicht im V-Fall müssen schnell eine durchhaltefähige Wehrerfassung und -überwachung eingerichtet sowie die infrastrukturellen, materiellen und personellen Voraussetzungen bei der Bundeswehr geschaffen werden.Über die Abgabe des vorgesehenen Fragebogens für alle Geschlechter hinaus fordern wir eine obligatorische Orientierungswoche bei einer Blaulichtorganisation oder der Bundeswehr am Ende der Schulzeit. Dies hilft jungen Menschen bei der beruflichen Orientierung, schafft ein überregionales persönliches Netzwerk und stärkt insgesamt die gesellschaftliche Resilienz.Ein mutiger Bürokratieabbau stärkt die Streitkräfte ebenfalls, da durch Formulare, Berichtspflichten und vielstufige Prüfschleifen viel Dienstzeit regelrecht verbrannt wird. Besonders bei Sicherheitsüberprüfungen sehen wir ein großes Einsparpotential. Sicherheitsüberprüfungen sind in vielen Bereichen der Bundeswehr gefordert und auch notwendig. Trotzdem sind sie seit Jahren ein Hemmschuh für Auftragserfüllung, Stellenbesetzung und Karriereentwicklungen. Laufzeiten von teilweise bis zu acht Jahren für eine Überprüfung sind der erschreckende Status Quo. Dies muss sich ändern, um die Bundeswehr in sicherheitsempfindlichen Kernbereichen flexibel und reaktionsfähig zu halten, ohne dabei jedoch die Abwehr von unlauteren Interessen Dritter zu vernachlässigen. Wir setzen uns daher für eine Reform des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens ein.
5. Verantwortung für unsere Einsatzveteranen übernehmen
Wer an einem vom Deutschen Bundestag mandatierten Einsatz teilnahm, verdient gesellschaftliche Anerkennung und bestmögliche gesundheitliche Versorgung. Angefangen von einer angemessenen Verleihung des Veteranenabzeichens statt bisher einer postalischen Zustellung, über die Schaffung eines gesellschaftlich getragenen Veteranenausweises oder einem „Veteranen-BAföG“ gibt es noch vieles zu tun.Über eine Angleichung des Soldatenentschädigungsgesetzes für Ehemalige und des Soldatenversorgungsgesetzes für Aktive kann körperlich oder geistig Versehrten ein unbürokratischer Zugang zur freien medizinischen wie auch psychologischen Heilfürsorge der Bundeswehr gewährt werden, soweit dafür ein Zusammenhang mit dem geleisteten Wehrdienst besteht.Besondere Aufmerksamkeit erfordert die wissenschaftlich begleitete psychologische Vorsorge vor Belastungsstörungen. Ausgangspunkt kontinuierlicher wissenschaftlicher Begleitung kann das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr sein. Darauf aufbauend sehen wir Veteranenkoordinatoren auf Ebene der Landkreise als sehr sinnvoll an. Als finale Lösung für dieses vielfältige Aufgabenfeld bietet sich ein vom BMVg unabhängiges Veteraneninstitut an, welches die berechtigten Interessen der Einsatzveteranen gegenüber dem Gesetzgeber und der Zivilgesellschaft vertritt.Um für Verständnis für all diese und weitere Themen im Zusammenhang mit dem Soldatenberuf im Allgemeinen und Einsatzveteranen im Speziellen zu werben, sehen wir in einem medial begleiteten Veteranentag ein großes Potential. Besondere Würdigung sollten in diesem Zusammenhang die Trägerinnen und Träger des Ehrenkreuzes der Bundeswehr für Tapferkeit erhalten.Eine Gedenkstätte für Gefallene in unmittelbarer Nähe zum Reichstag sowie eine Ewigkeitsklausel für Ehrengräber trügen ebenfalls zur dauerhaften gesellschaftlichen Präsenz bei und rundeten -leider- das Gesamtbild des Soldatenberufes ab.
6. Sicherheitspolitischen Dialog fördern
Wir halten das Konzept der „Jugendoffiziere“ für nicht mehr zeitgemäß. Nicht nur die Schulen und Hochschulen sollten Ort des Dialogs über den Zweck von Streitkräften sein, sondern auch Vereine, Betriebe, Redaktionen und nicht zuletzt die sozialen Medien. Deshalb wollen wir die „Jugendoffiziere“ zu „Bürgeroffizieren“ weiterentwickeln. Das bedeutet für uns nicht nur eine Namensänderung, sondern eine Weiterentwicklung der Methodik von Vorträgen, Planspielen, aber auch eine kritische Bewertung hinsichtlich erforderlicher Empathie und militärischer Erfahrung des Personals. Eine stärkere Einbindung von einsatzerfahrenen Unteroffizieren mit Portepee in die sicherheitspolitische Bildung der Gesellschaft unterstützen wir ausdrücklich.
7. Offenheit für gesellschaftliche Veränderungen
Die Bundeswehr muss sich sozialgesellschaftlichen Veränderungen stellen, um weiterhin motiviertes Personal gewinnen und halten zu können. Neben einer weiter ausbaufähigen Integration von Personen diversen Geschlechts sollte auch ein gemäßigter und verantwortungsvoller Konsum von Cannabis außer Dienst, außerhalb militärischer Liegenschaften in Anlehnung an Regelungen Kanadas möglich sein, mithin stets unter der klaren Prämisse, dass eine Beeinträchtigung der Dienstfähigkeit ausgeschlossen ist.Auch Ausdruck persönlicher Individualität, etwa bei Körperschmuck und Haarlänge, sollte offen begegnet werden. Einschränkungen sollten ausschließlich aufgrund militärischer Notwendigkeit gemacht werden und müssen dann für alle Angehörigen der Streitkräfte gleichermaßen gelten.
8. Rückführung aktiver Soldaten aus Bundesbehörden
Um die Leistungsfähigkeit mittel- bis langfristig im militärischen Bereich bzw. in der Truppe deutlich zu erhöhen und auch die militärischen Fähigkeiten kontinuierlich aufrechtzuerhalten (Inübunghaltung), sind militärische Dienstposten im BAAINBw und BAIUDBw nur noch in Ausnahmefällen (z.B. eingeschränkte Verwendungsfähigkeit des Soldaten) vorzusehen. Die Bundesbehörden können sich auf die neue Situation einstellen und entsprechend ihren zivilen Personalbedarf planen sowie interne Prozesse anpassen. Stattdessen sind verstärkt ehemalige SaZ und FWDL für Bundeswehrverwaltungsdienstposten einzustellen, um die militärischen Kompetenzen weiterhin einbinden zu können.
Uns ist bewusst, dass es darüber hinaus weitere Herausforderungen gibt, die gelöst werden müssen, etwa die Personalgewinnung und -bindung, die Digitalisierung und Entbürokratisierung der Bundeswehrverwaltung bis hin zur Wiederbelebung der Zivilverteidigung. Alles lässt sich ändern.
