Eine nachdenkliche Nachlese
Es ist jetzt über einen Monat her, dass ich in mein Auto gestiegen bin und zusammen mit meiner Frau für ein Wochenende nach Düsseldorf zu den Invictus Games 2023 fuhr. Auf der Fahrt gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. 2016 hatte ich schon einmal die Chance, bei dem von Prinz Harry ins Leben gerufenen sportlichen Wettkampf versehrter Soldatinnen und Soldaten dabei zu sein. Damals war ich noch als aktiver Soldat in den USA stationiert und konnte mit dem Team nach Orlando reisen, wo die Amerikaner in ihrer typischen und für mich auch sympathischen Art dieser Truppe ihren Respekt zollten. Würden es die Deutschen auch schaffen, eine gute und Anerkennung spendende Bühne für den größten Kampf eines Soldaten, den Kampf gegen die eigene Verwundung, aufzubauen und mit Leben zu füllen? Ich war mir nicht sicher.
Am Ende der Invictus Games 2023 kann ich sagen: „Ja, wir können das!“ Da hat sich etwas verändert seit 2016. Damals musste ich als Verteidigungsattaché sogar etwas nachhelfen, damit die Familien der Verwundeten mit in der Regierungsmaschine mit über den Atlantik fliegen konnten. Im Streitkräfteamt war man zögerlich. Man sehe eher die CISM Wettkämpfe als geeignete Foren an (Conseil International du Sport Militaire – Internationaler Militärsportverband). Inzwischen haben wir Gottseidank den Wert der Invictus Games erkannt und anerkannt. Invictus Games, das ist ein sportliches aber auch ein kulturelles Dach über allen aktiven und ehemaligen Soldaten, über denen mit Verwundung und denen ohne, die dennoch in Kameradschaft wissen, was das bedeutet. Es ist ein Dach über den Familien, allen Veteranen und denen, die von außen respektvollen Anteil nehmen an der gesellschaftlichen Bedeutung des Soldatenberufs. Bei der Eröffnungsfeier am Samstagabend artikulierten sich in ähnlicher Weise Bundeskanzler Olaf Scholz per Videobotschaft und Verteidigungsminister Boris Pistorius in einer authentischen und emotionalen Rede. Der Applaus der rund 20.000 Zuschauer war mehr als eine reine Höflichkeit. Es war eine demonstrative Zustimmung.
Beim Einmarsch der Wettkampfteams galt dem Team aus der Ukraine ein besonderer und donnernder Applaus. Gerechtfertigt, so meine ich, und doch dachte ich in diesem Moment eher an die Frontlinie, wo deren Kameraden weiterhin für die Freiheit ihres Landes kämpfen, verwundet werden und fallen. In meinen eigenen Jubelruf mischte sich ein kleiner, bitterer Beigeschmack. Es war der Beigeschmack der oftmals tragischen Ernsthaftigkeit, die unseren Beruf ein Leben lang durchzieht. Soldat sein, das heißt am Ende auch immer Tod und Verwundung. Damit müssen wir leben.
Aber noch ein Einmarsch eines Teams hat mich innerlich tief berührt. Es war das Team aus Israel, das zum ersten Mal bei den Invictus Games dabei sein konnte. Die Geschichte der Juden in Deutschland ist und bleibt ein monströser Schandfleck in unserer Geschichte. Wer sich intensiver damit befasst, kann bei den Worten des AfD-„Ehrenvorsitzenden“ Alexander Gauland, dass es sich dabei um einen „Vogelschiss“ der deutschen Geschichte gehandelt haben soll, nur fassungslos den Kopf schütteln. 12.000 jüdische Soldaten fielen im Ersten Weltkrieg für Deutschland. Im Zweiten Weltkrieg ermordeten die Nationalsozialisten 6 Millionen Juden, auch jene, die den Ersten Weltkrieg überlebt hatten. Was für ein Verrat am deutschen Volk, was für ein Verrat am deutschen Soldatentum! Zählt man noch hinzu, was Deutschland mit Krieg und Gewalt gegenüber unseren Nachbarn anrichtete, dann kommt mir nur ein Wort in den Sinn, das man wohl dem verstorbenen Bundeskanzler Helmut Schmidt zuschreiben darf: „Ein Kolossalverbrechen.“ Als ich die Israelis fröhlich einmarschieren sah, da wurde mir klar, wie sich die Zeiten doch geändert hatten. Jüdische Soldaten, heute für ihren eigenen Staat im Einsatz, marschierten unter Applaus in Deutschland auf eine Bühne. Nein, das war keine Selbstverständlichkeit, Das war etwas, das wir alle wertschätzen sollten und worüber wir uns alle freuen können.
Heute – nach dem brutalen Angriff der vom Iran unterstützten Hamas auf Israel – kommt noch eine weitere Facette hinzu. Der Fortbestand Israels ist deutsche Staatsraison. Man kann sicher vieles politisch kritisieren, aber am Ende ist es wie mit der Ukraine. Wenn wir diese Staaten aufgeben, dann legen wir die mühsam erworbene Würde unserer Demokratie einfach ab. Wenn die Freiheit bestehen soll, dann muss man auch bereit sein, etwas dafür einzubringen: als Soldat und Soldatin für unser Land und seine Verbündeten, als Staat durch Hilfestellungen aller Art, auch mit militärischem und nicht-militärischem Gerät.
Die Invictus Games sind eine Momentaufnahme gewesen und doch gab es in ihnen offenbar Ankerpunkte, die uns auch nach ihrem Ende beschäftigen sollten. Es sind Spiele für noch aktive Militärangehörige (diesmal waren übrigens auch mit einer Ausnahmegenehmigung Verwundete der Polizei und der Feuerwehr mit dabei). Aus dem aktiven Dienst ausgeschiedene, verwundete Veteranen konnten nicht teilnehmen. Das wurde vielfach kritisiert. Die dahingehende Öffnung der Spiele würde sicher ein Fortschritt sein, aber das Reglement ist das der Invictus Foundation, kein deutsches. Am Ende mag es ein Problem der Zahl sein. Das deutsche Team umfasste 37 Teilnehmer. Sie wurden von der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf betreut. Wie groß wäre ein Team nach einer Öffnung für alle Ehemaligen und wie groß wären die Teams der anderen unter so einem Reglement?
So haben viele verwundete Veteranen also keine Möglichkeit gehabt, aktiv an den Spielen teilzunehmen, aber sie konnten zumindest als Zuschauer dabei sein. Einen Kritikpunkt aber teile ich uneingeschränkt. Man hätte sie durchaus an prominenter Stelle deutlicher erwähnen sollen. Man sollte auch die Aktiven erwähnen, die an einer Verwundung leiden, die aber noch nicht reif für die Spiele sind, weil ihre körperliche oder mentale Stabilität es einfach nicht zulassen. 2016 platzte in Orlando beim Radrennen ein Reifen mit einem lauten Knall. Ein deutscher Kamerad erlitt einen heftigen Flashback und musste intensiv betreut werden. Invictus Games sind laut und manchmal grell. Nicht jeder kann das schon aushalten.
So bleiben die Invictus Games das, was sie sind. Ein vielbeachteter Ausschnitt aus der Wirklichkeit des Soldatenberufs. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
„I am the master of my fate. I am the captain of my soul.” So heißt es am Ende des berühmten Gedichtes “Invictus” von William Ernest Henley. Wir Liberale Soldaten und Veteranen wissen das und wir wissen, dass unsere Arbeit nach den Invictus Games weitergehen muss. Dafür werden wir uns auch in Zukunft politisch einsetzen. Mehr können wir nicht tun und wir wünschen uns gleichzeitig, niemals weniger tun zu müssen.