Nach Jahrzehnten der “Friedensdividende” ist die Bundeswehr erstmals seit der Wiedervereinigung nicht mehr unterfinanziert. Wir begrüßen die erheblichen und langfristig gesicherten Finanzmittel zur Verbesserung der materiellen Einsatzbereitschaft auch wenn wir den Anlass, nämlich den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, verurteilen. Wir stehen fest an der Seite unserer ukrainischen Freunde. Um das erklärte Ziel, die materielle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte schnell und nachhaltig zu erhöhen sehen wir zunächst fünf wesentliche Maßnahmen:
- Administrative Prozesse beschleunigen
Die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte setzt neben einer ausreichenden personellen und materiellen Ausstattung auch eine Beschleunigung ihrer Prozesse voraus. Tendenziell hat die starke Orientierung an die zivilen Regelwerke im Frieden zu einer Verlangsamung der Umsetzung militärischer Notwendigkeiten geführt. Hervorstechend ist das seit den 80er Jahren starre Festhalten an der parlamentarischen Mitwirkung von Beschaffungen über 25 Mio. Euro. Hier ist die Schwelle auf 100 Mio. Euro anzuheben. Nur so korreliert die parlamentarische Entscheidungsbeteiligung wieder mit der politischen Bedeutung der einzelnen Beschaffungsmaßnahme. Der damit verbundene hohe administrative Aufwand kann nachhaltig reduziert werden. Alle nationalen Auflagen in Gesetzen und Verwaltungsbestimmungen, die heute für die Bundeswehr uneingeschränkt gelten, sind auf öffentlich vermittelbare Ausnahmemöglichkeiten und verteidigungspolitisch begründete Sonderregeln zu prüfen. Dort, wo die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland signifikant beeinträchtigt wird, muss die Flexibilität militärischen Handeln bereits im Frieden deutlich verbessert werden.
- Vergaberecht reformieren
Das deutsche Vergaberecht unterscheidet nicht zwischen militärischer und ziviler Beschaffung. Die durch die Europäische Union eröffneten Möglichkeiten für militärische Ausschreibungen von den zivilen Vorgaben abzuweichen, u.a. im Bereich der Ausschreibungsdauer und die Beschränkung auf nationale Anbieter werden derzeit in Deutschland nicht angewandt, anders als etwa in Frankreich. Dies fordern wir dauerhaft zu revidieren. Klagen von unterlegenen Bietern dürfen keinen Aufschiebungsgrund für Beschaffungen darstellen. Produktvorgaben bei Nach- und Ergänzungsbeschaffungen dürfen kein rotes Tuch mehr sein. Insbesondere für den Bereich Digitalisierung und IT sind innovative Vergabeverfahren zu nutzen, z.B. über Innovationspartnerschaften.
- Fähigkeitsprofil erfüllen
In Zeiten des Internationalen Krisenmanagements als Hauptauftrag mussten 70% Ausstattung ausreichen, weil das Geld für mehr nicht da war. Wir wollen, dass nicht 70 sondern 100 wieder das neue 100 sind. Das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr stellt hierfür die Grundlage für die Vollausstattung mit Material und Personal dar. Qualitative und quantitative Einschränkungen etwa bei der Ausstattung von Reserve- oder durch Reserve unterstützte Einheiten, dürfen nicht akzeptiert werden. Nur wenn die gesamte Bundeswehr – aktive Soldaten, Reservisten und zivile Mitarbeiter – all das Material haben, dass sie für ihre Aufträge benötigen, kann von echter “Kaltstartfähigkeit” gesprochen werden.
- Updates und Neubeschaffungen
Die Bestandsflotte der Bundeswehr ist bewährt, doch häufig nicht mehr Stand der Technik. Wo immer möglich sind technische Updates zur Erhöhung des Einsatzspektrums, der möglichen Einsatzdauer, des aktiven oder passiven Schutzes, der Kompatibilität oder andere “Kampfwertsteigerungen” vorzusehen, wenn dies zur Erreichung der benötigten Fähigkeiten ausreicht. Dies reduziert im Vergleich zur Einführung gänzlich neuer Systeme den zeitlichen und logistischen Aufwand für Ausbildung, Ersatzteilversorgung und Instandsetzung. Die Prozesse zur Ertüchtigung von Bestandsgerät müssen deutlich gestrafft werden. Dazu sollten alle Systeme von Instandsetzungsvorhaben befreit werden, die zivilen Standards folgen, aber am militärischen Bedarf vorbeigehen. Um die Verfügbarkeit der Hauptwaffensysteme zeitnah zu erhöhen, sollten weitere Lose ohne (große) Anpassungen zum alten Los beschafft werden.
Der Aufbau der Digitalisierungsplattform im Geschäftsbereich BMVg, durch welche die Besonderheiten bei der Bereitstellung von IT- Services im Vergleich zu anderen Rüstungsvorhaben im Beschaffungsprozess inkl. des Planungsprozesses und der Haushaltsaufstellung verstärkt Berücksichtigung finden sollen muss priorisiert werden. Die Zeitspanne zur Deckung eines Bedarfs lässt sich durch die gezielte Wiederverwendbarkeit von standardisierten IT-Services deutlich reduzieren und wirtschaftlicher gestalten.
- Moderne Infrastruktur und resiliente Führungsstrukturen
Die Bestandsinfrastruktur der Bundeswehr, u.a. Unterkunftsgebäude, Depots, Ausbildungseinrichtungen und Stabsgebäude wurden wie auch das Material über Jahrzehnte vernachlässigt. Undichte Dächer und mangelhafte Installationen sind keine Seltenheit. Umso dringender müssen nun Sanierungen und wo notwendig Neubauten beauftragt werden. Nur wenn ausreichend Schleppdächer, Hallen und Unterkünfte bereit stehen kann das künftig zufließende Gerät überhaupt sicher geparkt, repariert und bedient werden. Innovative digitale Konzepte für die „Liegenschaften der Zukunft“ sollten schnell zur Umsetzung kommen. Zeitliche Verzögerungen sind häufig Genehmigungsverfahren geschuldet, die in die zivile Verwaltung des jeweiligen Bundeslandes fallen. Hier sollte geprüft werden, ob militärische Baugenehmigungen priorisiert werden können.
Die Bundesregierung braucht darüber hinaus erneut eine gehärtete nationale Führungseinrichtung (früher im Ahrtal). Das Kommando Territoriale Aufgaben und das Einsatzführungskommando der Bundeswehr sind in der jetzigen Infrastruktur auf seine Resilienzfähigkeit zu überprüfen.
Die Aufsplitterung der Bundeswehr in zu viele kleinteilige Organisationen ist zu revidieren. Wo möglich, sind querschnittliche Aufgaben durch eine TSK in Pilotfunktion für alle wahrzunehmen (z.B. ABC-Abwehr beim Heer). Der Sanitätsbereich als eigenständiger Organisationsbereich hat sich bewährt und muss erhalten bleiben.